Die Wende einfach verschlafen
Westgurken aus dem Spreewald
THEATER Drama oder Komödie in der Kulturhalle Süßen? „Good bye, Lenin“, von der Landesbühne Esslingen, hat von allem etwas.
Buchstäblich dumm gelaufen. Da überrollen unzählige West-Autos den Osten, die einen genießen Coca-Cola aus der Dose und ein anderer freut sich über das Krönchen eines Fast-Food-Restaurants – und Mama, ihres Zeichens verdiente Aktivistin der Deutschen Demokratischen Republik, um die sich alles dreht, bekommt gar nichts mit. Einen Monat vor dem Mauerfall fällt Christiane Kerner (Sabine Bräuning) nach einem Herzinfarkt ins Koma und wacht erst nach acht Monaten im Kreise ihrer Lieben wieder auf. Fortan leben sie und auch die DDR in ihrer Wohnung weiter, denn ihr Sohn Alexander (lebhaft, Benjamin Janssen) und der Rest der Familie nebst weiteren Bekannten, leben Christiane zum Schutz ihrer Gesundheit den bisherigen Alltag vor, verheimlichen rigoros, dass die Wende bereits stattgefunden hat.
Und das sorgt auch bei der Bühnenfassung von Bernd Lichtenberg wie im gleichnamigen Film von Wolfgang Becker von 2003, mitunter für viel Heiterkeit, ein bisschen Trübsal, aber dafür durchgehend für einen logistischen Aufwand, der es in sich hat. Die stetigen Szenenwechsel, sei es in der Datsche oder bei den fingierten Nachrichtensendungen der „Aktuellen Kamera“ von Amateurfilmer Denis (Markus Michalik, auch klasse als schwäbischer Sparkassenangestellter und tatterich-klappriger Erich Honecker), löst Regisseur Markus Bartl großartig mit einem idealisierten Ambiente sowie authentischen Kostümen, wie beispielsweise bei den „Jungen Pionieren“. Wobei, es die Badeszene mit Rainer (mutig, Antonio Lallo) und das viel zu lange Wörter-Wiederholungsspiel im Sinne von „ich packe meinen Koffer“, es hingegen zwingend nicht gebraucht hätte. Pfiffig gelöst, wie die imposanten Plattenbauten vor mit Schäfchenwolken verziertem blauen Himmel emporragen oder, da wenige Requisiten im Einsatz sind, häufig neu arrangiert werden und gelegentlich als Möbel dienen.
Zusammengefasst werden die unterschiedlichen Charaktere vom stimmig besetzten WLB-Ensemble sehr gut verkörpert, doch hundertprozentig im Gedächtnis bleibt der dem Alkohol zugewandte Nachbar Klapprath (Reinhold Ohngemach), auf sein köstlich zelebriertes Gebaren ein ehrliches Prost. „Mit Honecker einschlafen und mit Kohl aufwachen ist lebensgefährlich“, findet Christianes Tochter Ariane (Sabine Dotzer). Aussagen, die beim Publikum gut ankommen, generell gewann die zweite Hälfte mehr an Fahrt. Die Komödie besitzt durchaus auch tragische Momente, so gehört die Familie Kerner nicht gerade zu den Gewinnern der Wende. Das in einer Schublade unter dem Schrankpapier versteckte Ostmarkvermögen entdeckt Alexander genau zwei Tage nach Umtauschschluss und in Wirklichkeit hat Mama Christiane Westgurken gegessen, die ihr Sohn Alexander zu ihrem Geburtstag in ein altes Spreewaldgurkenglas umfüllte.