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Ein leidenschaftlicher Lebenslauf

Ein genialer Macho scheitert auf der Bühne

Theater Weiberheld – Mit Tucholsky im Bett

WEIBERHELD - MIT TUCHOLSKY IM BETT. © Foto: Katharina Weißenborn

Die Aufführung in der Kulturhalle Süßen beginnt: Ein zu spät gekommenes Paar betritt, laut Türe schlagend, noch den Saal. Sie zieht ihn zeternd hinter sich her: „Du hast doch noch niemals eine andere geliebt?!“ Sie besteigen die Bühne, das nervige Getue geht weiter. Und jetzt ist allen klar: Dort befindet sich Dr. jur. Kurt Tucholsky mit seiner derzeitigen Geliebten, – das Theaterstück hat unversehens angefangen!

Jan Schönberg, alias Tucholsky, durchwandert nun auf einer Stationenwanderung sein Leben. Niemand kennt ihn genau: bekannter Schriftsteller und Publizist, der seinen Wohnort und seine Frau ständig wechselt. Er spielt diesen genialen Chaoten als unaufgeregter Clown, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann.

Den schwierigeren Part in diesem selbst produzierten Zweipersonenstück hat Heike Feist übernommen. Sie spielt alle sechs (bekannten) Geliebten des Herrn. Dafür wechselt sie permanent Kostüme, Stimme, Gesten und Rollen. Und es geht dabei ständig um Beziehungen: leidenschaftlich und zugleich kämpferisch und leidend. Eine sehr respektable Leistung!

Das Hin und Her spielt sich überdies noch auf drei Ebenen ab, bei denen es die Zuschauer manchmal schwer hatten, den Durchblick zu behalten: die Alltagsszenen direkt auf der Bühne, die Fakten aus Tucholskys Leben werden als Kurzerzählungen eingefügt und das Publikum wird hin und wieder in das Geschehen einbezogen. Jan Schönberg gibt den überlegenen Macho, für den Frauen die „Holzwolle in der Kiste des Lebens“ sind. Neben all diesen Ruppigkeiten sucht er leidenschaftlich die Nähe zu der gerade vorhandenen Frau. Er spielt diese Mischung mit einer Souveränität ohnegleichen und wird nirgends aggressiv oder gemein. Heike Feist räsoniert zu Beginn über die Liebe. „Männer sind eine komische Erfindung“, lautet ihr Urteil. Tucholskys Frauen wissen nie genau, woran sie sind. Wollen sie etwas Struktur und Ordnung in die Beziehung hineinbringen wird das sanft, aber bestimmt abgelehnt. Ihr Leben hat aber auch seine komischen Seiten: So haben sie sich zum Spaß ein Kind erfunden und die anderen nehmen das ernst…

Gleichzeitig gibt es auch einen anderen Tucholsky: Er ist bekannt für seine unbeugsame Haltung gegen Machtmissbrauch und Militarismus und verlogene Moralvorstellungen. Da ihm in Deutschland Verfolgung droht, so berichtet das Paar schlicht und sachlich, flieht er 1933 nach Schweden. Dort leidet er an chronischen Magenbeschwerden und stirbt wahrscheinlich an einer Überdosis Schmerztabletten. So endete ein ungewöhnlicher Abend über einen einmaligen Menschen.

Datum

Mo, 09.10.2023

Ein Artikel von

Ulrich Kernen

Quelle
SÜDWEST PRESSE
Veranstaltung
WEIBERHELD – MIT TUCHOLSKY IM BETT
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